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Technische Früherziehung durch audiovisuelle Medien:

Fernsehen, Radio, Hörkassetten, Computerspiele, Internet

 

Kinder im Alter von 4-6 Jahren haben bereits ein ausgeprägtes Interesse an naturwissen­schaftlichen und technischen Sachverhalten. Dies zeigt sich v.a. daran, dass die Medien schon seit Jahren ein breites Angebot an Themen mit naturwissenschaftlichen und techni­schen Inhalten für Schul- und Vorschulkinder bereitstellen. Dennoch erfolgt die systemati­sche Vermittlung naturwissenschaftlicher Kenntnisse im bundesdeutschen Bildungssystem erst im Schulunterricht der Sekundarstufe I, d.h. die „...Medien begeistern Kinder für natur­wissenschaftliche Themen lange bevor unser Bildungssystem Naturwissenschaftsvermittlung vorsieht.“[1]

 

Auf der Grundlage der Studie von G. Lück, die sich mit der Vermittlung von Naturwissen­schaften im frühen Kindesalter beschäftigt[2],soll im folgenden beleuchtet werden, welche Medien naturwissenschaftliche Themen vermitteln, inwieweit Vorschulkinder das Angebot nutzen und ob Kinder diesen Alters überhaupt in der Lage sind, den prä­sentierten technischen bzw. naturwissenschaftlichen Sachverhalten zu folgen.

 

Gisela Lück nennt in ihrer Untersuchung im Hinblick auf die audiovisuellen Medien v.a. die klassischen Medien Fernsehen, Radio und Hörkassetten, durch die Kinder im Vorschulalter und in den ersten Grundschuljahren Kenntnisse über die belebte und unbe­lebte Natur vermittelt bekommen. Gerade in den letzten Jahren erweisen sich jedoch auch die modernen Kommunikationsmedien für Kinder als sehr interessant: Neben  Computerspielen gewinnt auch das Internet für 4-8jährige Kinder zunehmende Bedeutung als „Wissenslieferant“.[3]

 

Das Fernsehen gilt nach wie vor unter 3-9jährigen Zuschauern als beliebtes Medium der Unterhaltung, aber auch als Informationsquelle zu naturwissenschaftlichen Fragestellungen[4], wobei das Angebot an Sendungen mit naturwissenschaftlichen Inhalten mittlerweile ein breites Spektrum einnimmt. Die erfolgreichsten Kindersendungen („Erfolg“ misst sich hier an der Höhe der Einschaltquote), in denen auch Inhalte zu den Themen Technik oder unbelebte Natur vorkommen, sind „Die Sendung mit der Maus“, „Löwenzahn“ und „Sesamstraße“.

 

Die „Sendung mit der Maus“ wird allwöchentlich von 300 000 Kindern im Alter zwischen 3 und 5 Jahren und von ebenso vielen im Alter zwischen 6 und 9 Jahren gesehen. Dabei neh­men die Sachgeschichten, rund 30 % der Sendungen ein, eine Vielzahl der Beiträge berührt auch naturwissenschaftliche Inhalte wie z.B. die Phänomene ‚Luft’, ‚Schwimmen und Sinken’ oder ‚die Kerze’. Auch komplexere naturwissenschaftlich-technische Zusammenhänge wer­den thematisiert, z.B.  „Warum hält eine Dauerwelle?“ oder „Was passiert beim Kochen einer Kartoffel?“, aber auch „Wie funktioniert ein Atomkraftwerk?“

 

In der ZDF-Sendung „Löwenzahn“ liegen die Einschaltquoten niedriger als bei der „Sendung mit der Maus“. Das Magazin, das Kinder von 5-9 Jahren anspricht, stellt ökologische Be­trachtungsweisen in den Vordergrund, dennoch werden Themen der unbelebten Natur ebenfalls berücksichtigt: Von 136 Folgen können 42 Sendungen diesem Themenkreis zuge­ordnet werden, z.B. Aggregatzustände des Wassers, Luft, Salz, Schwimmen und Sinken, aber auch die Untersuchung von Gegenständen und Stoffen (von der Herstellung bzw. Her­kunft bis zum Recycling), die Kindern aus dem Alltag bekannt sind: Öl, Glas, Kohle etc.

 

„Im Unterschied zur ‚Sendung mit der Maus’ oder ‚’Löwenzahn’ fällt der naturwissenschaftli­che Anteil in der Reihe ‚Sesamstraße’ deutlich geringer aus, obwohl auch dieser in der Kon­zeption ausdrücklich vorgesehen ist.“[5] Das soziale Lernen steht in dieser, von vielen Eltern als sehr geeignet eingeschätzten Kindersendung, im Vordergrund. Kognitiv orientierte Sachinhalte aus der Erfahrungsumwelt der Kinder erfahren im Hinblick auf die Themen un­belebte und belebte Natur eine deutlich geringere Beachtung als in den beiden zuvor ge­nannten Kindersendungen.

 

Inwieweit sind Kinder im Alter zwischen 3 und 9 Jahren jedoch überhaupt in der Lage, durch das Fernsehen vermittelte technisch-naturwissenschaftliche Inhalte aufzunehmen und zu verstehen? Die Medienpsychologinnen Hertha Sturm und Sabine Jörg haben in ihrer Studie „Informationsverarbeitung durch Kinder“[6] auf der Basis des entwicklungspsychologischen Ansatzes von Jean Piaget drei Kriterien entwickelt, nach denen bei Kindern die lernpsycho­logischen Voraussetzungen für das Verstehen naturwissenschaftlicher Inhalte erfüllt sind:

  1. „sprachliche Kommentierung des visuell Vermittelten zur besseren Aufmerksamkeitslen­kung,
  2. unidirektionale Handlungsabläufe und
  3. Berücksichtigung des (kindlichen) Egozentrismus durch eine geringe Anzahl an Per­spektivenwechsel.“

Sowohl in der „Sendung mit der Maus“ als auch in der Kindersendung „Löwenzahn“ werden diese drei Kriterien für kindgerechtes Fernsehen, vor allem hinsichtlich der Weiterentwick­lung dieser Sendungen in den letzten Jahren, sämtlich erfüllt.[7] Dennoch bleibt es auf Grund mangelnder Rezeptionsuntersuchungen unmöglich, genau festzulegen, inwieweit Kinder im Vorschulalter den dargestellten technisch-naturwissenschaftlichen Sachverhalten kognitiv tatsächlich folgen können.

 

Auch die auditiven Medien (Radio wie auch Tonträger) greifen das Thema der Vermittlung technisch-naturwissenschaftlicher Inhalte auf. Auditive Medien haben bei jüngeren Kindern einen höheren Stellenwert als bei älteren; außerdem ist das Hören ein besonders gefühls­betonter Wahrnehmungssinn – eine Distanzierung vom Gehörten fällt dem Kind schwerer als bei visuell wahrgenommenen Inhalten.[8]

 

In verschiedenen Radiosendungen öffentlich-rechtlicher Sender werden – allerdings nur zu einem geringen Teil – auch Kindersendungen mit einem technisch-naturwissenschaftlichen Anteil produziert.[9] Diese richten sich v.a. an Kinder im Grundschulalter. Es liegen jedoch keinerlei wissenschaftliche Untersuchungen über die Rezeption von Kindersendungen mit technisch-naturwissenschaftlichen Inhalten vor, sodass auch in diesem Bereich, ähnlich wie beim Fernsehen, keine gesicherten Erkenntnisse darüber gewonnen werden können, was Kinder von den vermittelten Themen tatsächlich aufnehmen, verstehen und erinnern.

 

Zu Hörkassetten haben Kinder bereits sehr früh Zugang: bereits 70 % der Vierjährigen sind mit Abspielgeräten vertraut.[10] Der Massenmarkt der Kinderhörkassetten ist vor allem ökono­misch orientiert und wird deshalb von Medienkritikern häufig auch als „Hörmüll“ bezeichnet. „Da bei Hörkassetten in der Regel die Themen ausgewertet werden, die sich bereits in ande­ren Medien bewährt haben – der Medienverbund trägt hier sehr zur Kommerzialisierung bei - , gilt die Branche als innovationsfeindlich(...)Niedrige Qualitätsstandards in der Produktion sind möglich, weil die Käufer eher gleichgültig reagieren, offenbar nur geringe künstlerische Ansprüche stellen und differenzierte Orientierungsmöglichkeiten für die breite Öffentlichkeit – etwa in Form von Rezensionen, Presseberichten etc. fehlen.“[11]

Als herausragendes Beispiel einer sehr weit verbreiteten Kinderhörkassette stellt Lück für die Serie „Benjamin Blümchen (Marktanteil: 15,4 %!) fest, dass der technisch-naturwissenschaftli­che Anteil der behandelten Themen nur randständig ist. Lück konstatiert, dass naturwissen­schaftliche Inhalte bei „Benjamin Blümchen“ häufig so komplex dargestellt werden, dass für die Kinder ein Verstehen nahezu ausgeschlossen ist und dass entsprechende Hintergründe oft nicht erklärt werden. So „(...) wird sich für die jungen Zuhörer eher ein naturfeindliches Technikbild festsetzen.“[12]

 

Neben Fernsehen und Hörkassetten ist auch der Computer aus der Erfahrungswelt der Vor- und Grundschulkinder nicht mehr auszublenden. Es gibt zahlreiche Spiel- und Lernpro­gramme, die auf die verschiedenen Alters- und Entwicklungsstufen der Kinder abgestimmt sind. Dabei wird in der Literatur unterschieden zwischen verschiedenen Typen von PC-Spielen (beispielsweise sogen. Strategiespiele, Action-Spiele, Lernspiele).[13] Bereits kleine Kinder können einen Computer innerhalb der ihrem jeweiligen Entwicklungsstand entspre­chenden Möglichkeiten nutzen: Es gibt etwas zu sehen, zu fühlen, zu hören; man kann auf etwas zeigen, es bewegt sich, Figuren weisen bekannte Eigenschaften von Lebewesen oder Gegenständen auf etc. Die dabei zu erlangenden Fertigkeiten und Fähigkeiten liegen z.B. in den Bereichen Feinmotorik, Reaktionsvermögen, Konzentration, Kreativität, Problemlösefer­tigkeiten – um nur einige zu nennen. So integrieren auch immer mehr Kindertageseinrichtun­gen den PC in ihr didaktisches Angebot, wenngleich die Hemmnisse bei den sozialpädago­gischen Fachkräfte häufig noch sehr hoch sind, (neue) Medien in der pädagogischen Arbeit einzusetzen.

 

In der Reggio-Pädagogik dagegen, einem sehr fortschrittlichen pädagogischen Ansatz, der im Kind als „Mitschöpfer seines Wissens“ ein forschendes und problemlösendes, mit vielfälti­gen Fähigkeiten und Kompetenzen ausgestattetes Wesen sieht,[14] ist der „(...)Umgang mit dem Computer (...)Teil des Alltags der fünf- bis sechsjährigen Kinder in den kommunalen Kindertagesstätten(...). Sie beziehen dieses Medium in ihre Spiele mit ein, (...) oder sie be­schäftigen sich in Projekten mit dem Innenleben dieses Mediums.“ [15]

 

Für Vor- und Grundschulkinder gibt es bereits eine große Zahl an Computerspielen, die auch von 3-jährigen Kindern unbefangen und interessiert genutzt werden.[16] Viele Computerspiele gehen dabei über das „bloße Spielen“ hinaus und vermitteln nebenbei oder explizit wissenswerte Informationen: die sogen. Edutainment-Spiele (aus Education und Entertainment abgeleitet). Dazu zählen auch jene CD-Roms, die Kindern ab 4 Jahren tech­nisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse auf spielerische Art und Weise vermitteln. Großer Beliebtheit erfreuen sich Spiele, die ihre Identifikationsfiguren aus Kinderfernsehsendungen ableiten, wie z.B. „Löwenzahn“. Interaktiv können sich die Kinder zu verschiedenen Themen der belebten, aber auch unbelebten Natur (z.B. Erde-Wasser-Luft) Informationen aneignen oder vorhandenes Wissen überprüfen.

 

Entgegen der häufig zu hörenden Vermutung, das Internet sei noch nichts für Kinder, sind auch die Kinder dabei, das Internet zu erobern. Inzwischen gibt es einige hundert Internet­seiten, die sich speziell an Kinder richten. Verunsicherung zeigen in diesem Zusammenhang häufig die PädagogInnen, die nicht wissen, wie sie mit diesem Thema umgehen sollen, da sie häufig selbst noch nicht genügend qualifiziert sind, mit dem Computer bzw. auch Internet umzugehen. Pädagogisch sinnvolle Analysen und Handreichungen bieten in diesem Zu­sammenhang die vor kurzem erschienen Handbücher von Michael Kobbeloer „Internethand­buch für Erzieherinnen und Erzieher“ (2002)[17] und Christine Feil (Hrg.) „Internet für Kinder. Hilfen für Eltern, Erzieher und Lehrer“ (2001)[18].

 

Über speziell für Kinder eingerichtete Suchmaschinen und Portale haben Kinder auch die Möglichkeit, an Informationen über technisch-naturwissenschaftliche Inhalte zu gelangen. Die Kinder-Suchmaschine www.blinde-kuh.de z.B. bietet eine eigene Rubrik „Wissen“, über die sich die Kinder über verschiedene Themen, auch aus der unbelebten Natur, „weiterkli­cken“ können. Allerdings mangelt es noch an Rezeptionsuntersuchungen, die sich mit Art und Auswirkungen von Internetnutzung bei Kindern im Hinblick auf die Aneignung technisch-naturwissenschaftlicher Themen beschäftigen.

 

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass bei Kindern im Vor- und Grundschulalter bereits ein ausgeprägtes Interesse an technisch-naturwissenschaftlichen Sachverhalten zu beo­bachten ist. Die Medien greifen dieses Interesse in unterschiedlicher Art und Weise auf: Während Kinderfernsehsendungen mit naturwissenschaftlichen Inhalten überraschend hohe Einschaltquoten auch bei jüngeren Kindern aufweisen, erfreuen sich die modernen Kommu­nikationsmedien zunehmender Beliebtheit auch bei jüngeren Adressaten, da hier technisch-naturwissenschaftliche Themen interaktiv angeeignet werden können.

 

Technische Früherziehung gewinnt im Zusammenhang mit dem Thema „Medien“ somit eine vielschichtige Bedeutung, wenn man bedenkt, dass die Vermittlung von Medienkompetenz in Kindergarten und Grundschule den handelnden Umgang mit technischem Gerät einschließt, die Medien selber aber den Kindern auch Inhalte aus dem technisch-naturwissenschaftlichen Bereich vermitteln können. Diese Vielschichtigkeit den Kindern zu erschließen ist Aufgabe der in Vor- und Grundschule tätigen pädagogischen Fachkräfte.



[1] Lück, Gisela: Leichte Experimente für Eltern und Kinder. Freiburg 2000. S. 132.

[2] Lück, Gisela: Naturwissenschaften im frühen Kindesalter. Untersuchungen zur Primärbegegnung von Kindern im Vorschulalter mit Phänomenen der unbelebten Natur. Essen 2000.

[3] Kobbeloer, Michael: Internethandbuch für Erzieherinnen und Erzieher. Berlin 2002.

[4] 3-9jährige Kinder sehen nach einer aktuellen Studie zwischen 81 und 96 Minuten täglich fern. Vgl.: Feierabend, Sabine und Windgasse, Thomas: Was Kinder sehen. Eine Analyse der Fernsehnutzung 1996 von Drei- bis 13jährigen. In: Media-Perspektiven 4. 1997. S. 186 ff.

[5] Lück: Naturwissenschaften im frühen Kindesalter. S. 60.

[6] Sturm, Hertha und Jörg, Sabine: Informationsverarbeitung durch Kinder. München 1980

[7] vgl. die ausführliche Darstellung bei Lück: Naturwissenschaften im frühen Kindesalter. S.64-68.

[8] Rogge, Jan-Uwe: Hören als Erlebnis. In: Schill, Wolfgang und Baacke, Dieter (Hrsg.): Kinder und Radio. Frankfurt /M. 1996. S. 30 ff.

[9] Lück: Naturwissenschaften im frühen Kindesalter. S. 77-79.

[10] Rogge: a.a.O. S. 34.

[11] Lück: Naturwissenschaften im frühen Kindesalter. S. 79.

[12] Lück: a.a.O. S. 82.

[13] Vgl. z.B. Fritz, Jürgen: Zur „Landschaft“ der Computerspiele. In: Dichanz, Horst (Hrsg.): Handbuch Medien. Bonn 1998. S. 81-97.

[14] Vgl. Dreier, Annette: Was tut der Wind, wenn er nicht weht? Begegnung mit der Kleinkindpädagogik in Reggio Emilia. Berlin 1993.

[15] Krieg, Elsbeth: Raumschiff zwischen zwei Intelligenzen. Computer im Kindergartenalltag. In: Welt des Kindes. 03.1997.

[16] Feibel, Thomas: Kindersoftware-Ratgeber 1999. Lernen, Wissen, Spiel und Spaß. München 1998.

[17] s.o.

[18] Feil, Christine (Hrsg.): Internet für Kinder. Hilfen für Eltern, Erzieher und Lehrer. Opladen 2001.